Gäste aus dem Osten waren vor dem Mauerfall eine Seltenheit. Dennoch konnten ausgewählte DDR-Bürger auch nach Stuttgart reisen. In Teil 1 dieser Serie schildert der frühere Heilbronner Pressereferent Heiner Weidner, wie er 1989 einen Besuch der FDJ organisierte.

Heiner Weidner.
Heiner Weidner plante das Programm.

Für Heiner Weidner war es schon Routine, als er 1988 das Programm einer DDR-Besuchsgruppe für das folgende Jahr zusammenstellt. Eine Wanderung auf der Schwäbischen Alb, der Besuch eines Kraftwerks und der Stuttgarter Fernsehturm sind für den Herbst 1989 vorgesehen. Was noch niemand ahnen kann: Es sollte die letzte DDR-Delegation in Schwaben sein. Wie kam Heiner Weidner zu dieser ungewöhnliche Rolle zwischen den Blöcken? “Das ist eine komplizierte Geschichte”, berichtet der 89-Jährige und deutet auf die Unterlagen und DDR-Wimpel, die er in seinem Keller aufbewahrt.

Taschengeld für die Königstraße

Neben seinem Beruf als Journalist und Pressereferent ist Weidner seit den 1950er-Jahren ehrenamtlich tätig – von der Deutscher Wanderjugend, dem Schwäbischen Albverein bis zum Deutschen Jugendherbergswerk (DJH). “1982 hatten die deutschen Staaten dann vereinbart, einen Jugendaustausch einzuführen”, erzählt Weidner. Die Ausführung landet auf seinem Schreibtisch beim DJH, wo er im Vorstand sitzt. Er soll ein Programm für seinen Landesverband Schwaben auf die Beine stellen. Aber was könnte man einer Delegation der Freien Deutschen Jugend (FDJ) zeigen?

FDJler beim Besuch im Krankenhaus.
Im Plattenwald-Kreiskrankenhaus in Bad Friedrichshall aßen die FDJler nach einer Führung zu Mittag.

Eine besondere Aufgabe für Weidner, dessen Mutter selbst aus Thüringen stammte. Zunächst muss er gemeinsam mit dem Geschäftsführer Walter Sittig – ganz schwäbisch – aufs Geld schauen, das der Bund zur Verfügung stellt. “Unser Wunsch war, ein kleines Taschengeld von knapp 60 Mark für Andenken zu überreichen”, sagt Weidner und denkt dabei an den Besuch der Königstraße. Deshalb bemühen sich die beiden, zusätzlich Sachspenden zu sammeln. An einem Tag speist man kostenlos in einer Krankenhaus-Kantine, am nächsten lädt das Heilbronner Theater die DDR-Gruppe ein.

Atomkraftwerk als Eklat

Die größte Herausforderung bleibt, jährlich das Programm mit der DDR abzustimmen. “Am Ende musste jeder Programmpunkt auf der höchsten Ebene der FDJ genehmigt werden.” Für 1986 hatte Weidner einmal vorgeschlagen, das Kernkraftwerk Neckarwestheim zu besichtigen, aber die FDJ lehnte ab – der Besuch musste ausfallen. “Da so etwas in der DDR nicht möglich war, konnten sie es nicht erlauben”, berichtet Weidner, der seine Lektion schnell lernt. Statt Atomkraftwerk schlägt er für 1989 ein modernes Kohlekraftwerk vor. Die FDJ-Leitung segnet folgendes Programm ab:

Das Programm im Jahr 1989
Auch für 1989 musste Weidner jeden einzelnen Programmpunkt vorher mit der FDJ abstimmen.

Obwohl Weidner nur an wenigen Ausflügen teilnehmen kann, kommt es zu Begegnungen. Immer wieder erstaunt ihn, dass die fremden Besucher aus dem Osten ihn beharrlich duzen. “Außerdem dachten viele, dass im Westen die gleiche Gesellschaftsordnung wie in der DDR exisitieren müsste”, erzählt Weidner, den manche für einen ‘hohen Ortsvorsteher’ hielten. Bis heute bedauert er es, dass es Vorbehalte gegenüber den neuen Bundesländern gibt. “Für mich war schon damals klar, dass wir alle Deutsche sind”, betont Weidner beim Blick auf die Fotos von damals. Was die Besuchsgruppe bei ihrem Ausflug nach Stuttgart erlebt, schildert der zweite Teil dieser Serie.

Zur Person:

Heiner Weidner ist 1929 in Heilbronn geboren und absolvierte ein journalistisches Volontariat in Schwäbisch Hall. Neben seiner Tätigkeit als Pressereferent saß er unter anderem im Bundesvorsitz von Deutscher Wanderjugend (DWJ) und Deutschem Jugendherbergswerk (DJH). Für sein vielfältiges Engagement erhielt er 2016 das Bundesverdienstkreuz.