Tausende DDR-Bürger fliehen im Laufe des Sommers in die Nachbarländer des Ostblocks – oft in ihrem Trabi. Als Ungarn die Grenze öffnet, fahren sie auch in den Südwesten. Viele Unternehmen in der Region sehen in den Neuankömmlingen wertvolle Fachkräfte.
Einen Sommer lang hatte Ungarn die Ereignisse beobachtet. Immer mehr DDR-Flüchtlinge versuchten, über die Grenze zu Österreich in den Westen zu gelangen. Die Menschen sammelten sich sogar an der westdeutschen Botschaft in Budapest. Schließlich erlaubt die Regierung am 10. September die Ausreise ab Mitternacht. “Ungarn hat den ersten ersten Stein aus der Mauer geschlagen”, stellt Helmut Kohl später fest. Denn in den nächsten Wochen können knapp 57.000 DDR-Bürger ausreisen.
Bekommt der Trabi freie Fahrt?
Den gefürchteten ‘Eisernen Vorhang’ passieren viele ganz bequem in ihrem Trabi, von dem die ersten Exemplare schon einen Tag später in Stuttgart gesichtet werden. “DDR-Trabis, nur 26 PS stark, aber mit Kind, Koffer und Kegel bepackt, mit Anhängern oder Wohnwagen beschwert.” (Stuttgarter Zeitung vom 13.9.1989) Das sorgt für Diskussionen in der Stadtverwaltung: Denn wo können diese Menschen wohnen? Und kann die Zulassungsstelle die Trabis für verkehrstüchtig erklären?
Wie es sich in einem Trabi fährt, zeigt dieser Beitrag:
Übersiedler mit Ausbildung
Weniger sorgenvoll zeigt sich das Stuttgarter Arbeitsamt. Für die Wirtschaft bedeuten die meist jungen Übersiedler eine große Chance. “Da sind viele ausgebildete Leute dabei”, freut sich bereits Kreishandwerksmeister Helmut Kotz (Stuttgarter Zeitung vom 13.9.1989). Besonders begehrt sind Bäcker, Metzger, Elektriker sowie Bau- und Metallarbeiter. Denn selbst Großunternehmen sind in Not. So berichtet der Spiegel, dass Porsche am Neckar längst keine Fachkräfte mehr findet. Statt 100 Autos kann das Unternehmen nur 84 pro Tag produzieren.
Notfalls wird umgeschult
Als besonders konsequent erweist sich jedoch die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB). Schon am selben Tag konnte einer der Trabi-Pioniere einen Vertrag bei der SSB unterschreiben. Der gelernte Lastwagenfahrer soll künftig Busse durch den Stuttgarter Talkessel steuern. “Der Mann wird noch umgeschult, doch das dürfte keine großen Probleme aufwerfen”, schätzt Personalleiter Hans-Dieter Bopp (Stuttgarter Zeitung vom 13.9.1989). Auch für andere Übersiedler sollen die (Fahrer-)Türen offen stehen.
Beitragsbild: Wikicommons, Trabi 1990, CC BY-SA 3.0
Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 13.9.1989
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