Die ganze Sportwelt schaut Mitte Oktober 1989 nach Stuttgart. Über 400 Athleten treten bei der Kunstturn-WM an. Sportlich überlegen zeigt sich der Ostblock. Während die Sowjetunion beim Turnen die Medaillen abräumt, sorgt die DDR durch ihre mitgereisten Fans für Wirbel.
Für neun Tage konnte sich Stuttgart wieder mal als Sportstadt fühlen. Mehr als 80.000 Zuschauer kommen vom 14. bis 22. Oktober in die Schleyer-Halle. Dort sehen sie bei der Kunstturn-WM, wie Andreas Aguilar das erste Gold seit 1974 für die Bundesrepublik erkämpft. Trotzdem dominiert die Sowjetunion. 9 von 17 Goldmedaillen gehen dorthin. Und das mit angezogener Handbremse: Die Sowjet-Stars wie die 15-jährige Olesja Dudnik müssen nicht einmal ihr schwierigsten Übungen vorführen.
Olesja Dudnik holt mit diesem Auftritt eine Goldmedaille.
Bloß nicht Blamieren
Große Erwartungen an das westdeutsche Team gibt es nicht, gesteht Turner-Chef Walter Wallmann vor dem Turnier. “Auch er weiß, daß [sic] man innerhalb eines Jahres aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen kann.” (Stuttgarter Zeitung vom 14.10.1989) Die Turner sollen sich bloß nicht blamieren. Im Wandel befinden sich ebenfalls die DDR-Sportler. Kurzfristig musste man neue Teams aufbauen – nach dem Ausfall vieler Olympia-Teilnehmer. Am Ende steht die DDR jedoch vor der Bundesrepublik:
DDR-Fans machen Stimmung
Die Fernsehkameras interessieren sich aber mehr für den Fan-Block der DDR. Knapp 120 Unterstützer dürfen nach Stuttgart reisen. “Sie sitzen dort wie lebendige Schaufensterpuppen – ausgestellt zur neugierigen Beobachtung.” (Stuttgarter Zeitung vom 20.10.1989.) Mit ihrem Verhalten wecken sie das Interesse der übrigen Zuschauer: Beim Turnen jubeln sie ausgelassen, schwenken ihre Fähnchen und führen dann immer wieder Sprechgesänge vor: “Acht, neun, zehn – Klasse!”, ertönt es stetig in der Halle.
Das Ziel vieler Fans ist es, auch die DDR-Funktionäre zu beeindrucken. Als Belohnung könnten beim nächsten Mal vielleicht noch mehr Menschen mitreisen. Abseits der Schleyer-Halle erwartet sie danach eine willkommene Abwechslung zum Alltag in der DDR. Fernsehturm und Königstraße stehen auf dem Programm. Der normale Bürger hat allerdings kaum eine Chance, mit der Sport-Elite um die Welt zu touren. Ähnlich wie bei der FDJ-Reise von Roland Luther belohnt die SED damit besondere Leistungen.
Und Nach dem Turnen?
Seit dem Sommer ist klar, dass sich das Rathaus Olympia an den Neckar wünscht. In der Schleyer-Halle spricht Juan Antonio Samaranch, der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), tatsächlich mit Lothar Späth und Manfred Rommel. Überraschend rät der IOC-Mann dabei, sich schon für das Jahr 2000 zu bewerben. “Damit wächst in Stuttgart die Überzeugung, man gelte beim IOC zumindest als ein ernsthafter Kandidat für die Olympischen Sommerspiele.” (Stuttgarter Zeitung vom 23.10.1989)
Quellen: Stuttgarter Zeitung vom 14., 20. und 23. Oktober 1989.
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