Auf einer Cannstatter Baustelle stoßen Geologen auf Erde, die mit Industrieabfällen verunreinigt ist. Dieser Sondermüll soll in der DDR entsorgt werden. Doch das Regierungspräsidium stoppt den Transport, weil Grenzwerte überschritten sind. Alles nur ein Versehen?
Es ist ein Skandal, über den die Stuttgarter im Herbst 1989 diskutieren. Von der Baustelle auf einem alten Industriegelände in Bad Cannstatt soll hochgiftiger Müll in die DDR transportiert werden. An der Deckerstraße möchte die Bundespost damals einen Neubau erreichten. Doch in Niedersachsen stoppt das Regierungspräsidium die ersten Transportschiffe. Der Grund: Das Material zeigt sich weitaus belasteter als erlaubt.
Die Konzentration von Chemikalien und Mineralölen ist zu hoch, um sie einfach in der DDR zu bearbeiten. Wollte hier jemand bewusst täuschen? Die Bundespost betont, dass Geologen die Erde untersucht hätten. Die Schuld liegt bei der Baufirma: “Ohne die Prüfungsergebnisse abzuwarten, seien von der beauftragten Firma bereits 3.000 Tonnen abtransportiert worden” (Stuttgarter Zeitung vom 12.10.1989), erklärt die Bundespost später.
SonderMüll als Exportschlager
Dass westdeutscher Müll in der DDR landet, ist bis zum Mauerfall ein alltägliches Geschäft – von dem beide profitieren: Die Bundesrepublik wird ihren Abfall kostengünstig los und die marode DDR erhält Devisen. Über Umweltstandards sieht die SED dabei hinweg. Deswegen landet aus West-Berlin zeitweise 80 Prozent des Mülls im Osten. Der Handel ermutigt Kriminelle, die Sondermüll unter den normalen Abfall mischen.
Wie die SED Autoreifen entsorgte, zeigt dieser Beitrag im MDR:
Der StZ-Redakteur Wolfgang Schulz-Braunschmidt sieht eben diese “Verdünnungsphilosophen” auch in Stuttgart aktiv. Und damit verstoßen sie gegen ihre Exportgenehmigung. “Entgegen allen Beteuerungen sollte der gesamte Dreck möglichst billig bei den armen DDR-Brüdern und -Schwestern abgeladen werden.” (Stuttgarter Zeitung vom 5.10.1989). Das wären dann etwa 20.000 Tonnen Bauschutt und 12.000 Tonnen Erde gewesen.
Ein schweres Erbe
Die Bundespost verspricht danach, den belasteten Müll in Baden-Württemberg zu entsorgen. Auch die Transportschiffe in Niedersachsen treten ihre Heimreise in den Südwesten an. Bis heute bleibt der giftige Müll aber ein schweres Erbe für Ostdeutschland. Bürgerinitiativen wie an der Sonderdeponie Schönberg in Mecklenburg-Vorpommern warnen davor, dass niemand wissen kann, was dort unter der Erde schlummert.
Das problematische Gelände in Bad Cannstatt verkauft die Post schon fünf Jahre später erneut. Ein weiterer Investor muss 1997 Konkurs anmelden. Erst 2006 öffnet dort das Einkaufszentrum Carré Bad Cannstatt.
Quellen:
Stuttgarter Zeitung vom 5. und 12. Oktober 1989
Eßlinger Zeitung vom 19. August 2009