Bei einem Spiel des VfB Stuttgart in der Tschechoslowakei lernte Eberhard Trautner Fans aus der DDR kennen. Daraus entwickelt sich eine Freundschaft über die Mauer. Mehrmals besucht der Torhüter seine Freunde oder trifft sie bei Europapokal-Reisen im Osten.
Für viele Fußballer sind es die eher unbeliebten Spiele: weite Fahrten im Europapokal zu maroden Stadien. Auch der VfB Stuttgart tritt im Oktober 1986 bei Spartak Trnava in der Tschechoslowakei an. Als der VfB-Busfahrer vom Flughafen in Bratislava losfahren möchte, bemerkt die Mannschaft einige Fans aus der DDR. “Für sie war es die einzige Möglichkeit, einmal West-Vereine zu sehen”, berichtet Eberhard Trautner, der ein großes Fotoalbum aus dieser Zeit besitzt. Kurzerhand lädt VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder die Fans ein, im Mannschaftsbus mitzufahren. Der 19-jährige Torhüter Eberhard Trautner lässt sie auf seinem Platz sitzen.
Urlaub in Ost-Berlin
Auf der Fahrt kommt er mit den VfB-Fans Stephan und Sabine aus Ost-Berlin ins Gespräch. “Als wir Trnava erreichten, haben sie mir ihre Adresse aufgeschrieben”, sagt Eberhard Trautner. Bestens informiert über die Schwaben sind die Ost-Berliner, weil sie die VfB-Geschäftsstelle per Post auf dem Laufenden hält. Nach einigen Briefwechseln will er die beiden im Sommer 1987 endlich besuchen. Fast einen ganzen Tag dauert die Fahrt, denn die DDR setzt eine alte Diesellok ein. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm der andere Geruch in der DDR: “Man konnte überall die Zweitakter der Trabis riechen, außerdem liefen die Heizungen dort noch mit Kohle.”
Während seines DDR-Urlaubs darf Eberhard Trautner in ihrer Wohnung leben. “Natürlich haben die Leute meinen Dialekt gehört, aber wir haben den Besuch nicht groß publik gemacht”, erzählt er. Mit den beiden fährt er nach Schloss Sanssouci und zur anderen Seite des Brandenburger Tors. Ein Jahr später steht Eberhard Trautner für ein Freundschaftsspiel bei Lokomotive Leipzig im Osten zwischen den Pfosten. “Das war damals ein Vorzeigeclub der DDR“, erinnert er sich an den gepflegten Rasen. Im Stadion verfolgen wieder VfB-Fans aus der DDR den Sieg der Schwaben. Darunter sind auch Stephan und Sabine, die die Mannschaft sogar beim Mittagessen treffen.
Was er 1987 in Ost-Berlin gesehen hat, zeigt diese Bildergalerie:
Europa-Tour des VfB
Auch in der Saison 1988/89 kommt es im UEFA-Pokal schon in der ersten Runde zu einem Wiedersehen mit seinen Freunden. Die beiden reisen ins ungarische Tatabánya, wo der VfB trotz einer 1:2-Niederlage in die zweite Runde einziehen kann. Für das nächste Spiel in Zagreb gelingt es ihnen nicht, an Karten im damaligen Jugoslawien zu kommen. Weiter geht es für den VfB im niederländischen Groningen, dann wartet Dynamo Dresden…
Der Weg des VfB ins Finale des UEFA-Pokals 1989 findet sich hier:
Insidertipps aus dem Osten
Auf das Halbfinale gegen Dynamo Dresden und die anstehende Reise in die DDR freut sich Eberhard Trautner natürlich besonders. Direkt nach der Auslosung geht er in die VfB-Geschäftsstelle, um sich 15 Tickets für seine Freunde in der DDR zu kaufen. “Denn für sie war es unmöglich, an Karten zu gelangen.” Sportlich kann er sich zudem über Insidertipps aus dem Osten freuen. Bei einem weiteren Besuch vor Weihnachten 1988 hatte er nämlich Wolfgang Matthies, den Torhüter von Union Berlin, kennengelernt. “Der konnte uns einige Schwächen der Dresdner verraten”, erzählt er. Und tatsächlich gewinnt der VfB das Hinspiel im Neckarstadion mit 1:0.
Zum Rückspiel begleiten 926 Fans aus der Bundesrepublik und viele weitere aus der DDR den VfB – darunter auch seine Freunde. Vor Ort erlebt Eberhard Trautner dennoch eine kämpferische Atmosphäre: “Schon beim Aufwärmen flogen uns ständig Bälle entgegen”, berichtet er, “weil ehemalige Dresdner direkt hinter uns Fußballtennis spielten.” Gleichzeitig machen 38.000 Fans das damalige Dynamo-Stadion zum Hexenkessel. “Der Europapokal war für sie die einmalige Chance, mal etwas anderes zu erleben.” Zwar ist der VfB dank eines Unentschiedens weiter, allerdings fehlt Jürgen Klinsmann wegen einer umstrittenen Gelben Karte im Final-Hinspiel gegen Neapel.
Unter Beobachtung der Stasi?
Die Nacht verbringt die Mannschaft im Hotel “Bellevue”. Dort kann der Torhüter abends auch Stephan und Sabine begrüßen. Möglicherweise hatte die Stasi aber die Freundschaft im Blick. Darauf weisen Dokumente der Behörde des Beauftragten für Stasi-Unterlagen hin. Es wird beschrieben, dass zwei DDR-Bürger einen Westdeutschen im “Bellevue” besuchten. “Inoffiziell wurde bekannt, dass beide DDR-Bürger die Ankunft des BRD-Bürgers am 18.4.1989 erwarteten und das Treffen geplant war”, heißt es in dem Dokument. “Das könnte ich gewesen sein”, meint Eberhard Trautner, dem öfters verdächtige Knackgeräusche beim Telefonieren in die DDR auffielen.
Doch davon lassen sich die Freunde niemals unterkriegen. “Ich komme wieder, bis die Mauer gefallen ist“, sagt er einmal mehr im Spaß. Tatsächlich musste er dafür weniger als gedacht nach Ost-Berlin reisen. Schon im Frühjahr 1990 können Stephan und Sabine mit ihrer Tochter selbst nach Stuttgart fahren. “Als ich sie über unser Trainingsgelände führte, hatten wir Gänsehaut”, freut sich Eberhard Trautner bis heute. Da zu dieser Zeit in der Bundesliga noch die Saison läuft, zeigt sein Vater den drei Besuchern viele Sehenswürdigkeiten. Statt Schloss Sanssouci heißt es jetzt Schloss Solitude, statt auf den Berliner Fernsehturm geht es auf den Stuttgarter.
Den Besuch in Stuttgart 1990 zeigt diese Bildergalerie:
Heute Näher zusammen
Da Eberhard Trautner seit 2016 im Nachwuchsbereich von RB Leipzig arbeitet, ist die Distanz zwischen ihnen kleiner geworden. “Dabei wollte ich ja eigentlich nur bis zum Mauerfall regelmäßig in den Osten fahren.” Aber nach 35 Jahren beim VfB hat er bei den Sachsen noch einmal eine neue Herausforderung gefunden. “Leipzig ist eine junge und dynamische Stadt, wo ich mich in den letzten drei Jahren sehr wohlgefühlt habe”, sagt er. Und erst kürzlich war er in Berlin, um Stephans 60. Geburtstag zu feiern.
Quelle zur Stasi: Behörde des Beauftragten für Stasi-Unterlagen
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