Kurz vor dem Mauerfall unterzeichneten die Uni Stuttgart und die TU Karl-Marx-Stadt eine Partnerschaft. Für die Stuttgarter Mathematiker organisiert Wolfgang Wendland den Austausch. Obwohl die DDR bald Geschichte ist, bleibt die Zusammenarbeit nicht folgenlos.

Wolfgang Wendland an der Uni Stuttgart.

Ob er jemals wieder in die DDR zurückkehren würde, wusste Wolfgang Wendland nicht, als er 1954 mit 18 Jahren aus Schönebeck an der Elbe nach West-Berlin flüchtet. Er hatte genug von der Bevormundung durch die SED. Im Westen studiert er an der TU Berlin Maschinenbau, bevor ihn Professor Wolfgang Haack überzeugt, zur Mathematik zu wechseln. “Außerdem bot er mir eine Stelle als Hilfskraft an”, erzählt Wolfgang Wendland, der selbst schon mit 33 Professor wird. Nachdem er lange an der Hochschule Darmstadt forscht, folgt er 1986 dem Ruf an den Lehrstuhl für Angewandte Mathematik der Uni Stuttgart.

Zähe Verhandlungen

Dort trifft er auf den Ingenieurwissenschaftler Günter Pritschow, der damals eine Kooperation mit der TU Karl-Marx-Stadt vorbereitet. “Dann habe ich mich für die Mathematik an diesen Plan angehängt”, sagt Wolfgang Wendland, “einige Kollegen aus der DDR kannte ich bereits.” Denn seit Ende der 1970er-Jahre hatte er bei verschiedenen Tagungen Kontakte zu dortigen Wissenschaftler geknüpft. “Die Mathematiker in der DDR waren ein Club für sich und begeisterten sich meist wenig für Politik.” Bei einem Treffen in der DDR wollen sie im Oktober 1988 einen Vertrag aushandeln.

Hier berichtet Wolfgang Wendland von den Verhandlungen:

Nach langen Diskussionen erreicht Wolfgang Wendland, dass beide Seiten Besucher einladen dürfen. Allerdings kann Karl-Marx-Stadt durchsetzen, dass die jeweilige Uni dem zustimmen muss. “Dennoch war der Kompromiss ein großer Erfolg, sonst wäre ich auch nach Hause gefahren”, meint er. Am 25. September 1989 unterzeichnen die Rektoren der beiden Hochschulen feierlich die Kooperation mit acht Projekten. Das Projekt der Mathematiker trägt den Titel “Analytische und numerische Behandlung von Problemen der Mathematischen Physik mit Anwendung in den Ingenieurwissenschaften”.

Der Stuttgarter Rektor, Franz Effenberger (2. v. l.), bei der Unterzeichnung des Vertrags. Foto: Michael Steinert

Ereignisse überschlagen sich

Die Mathematiker stellen einen Plan bis 1993 auf, bei dem jedes Jahr jeweils vier Wissenschaftler zu Besuch ins andere Land kommen können. Auch Studenten sollen die Gelegenheit erhalten, an der Partner-Fakultät zu forschen. Doch die Ereignisse überschlagen sich und aus Karl-Marx-Stadt wird wieder Chemnitz: “Als sich das Ende der DDR abzeichnete, wollten wir zumindest 1990 eine Tagung organisieren”, erinnert sich Wolfgang Wendland. Ende September treffen sich die Mathematiker im Söllerhaus der Universität Stuttgart im Kleinwalsertal und diskutieren über folgende Themen:

Bevor die Chemnitzer mit ihren Trabis zurückfahren, vereinbaren sie weitere Treffen. “Es war eine sehr schöne Atmosphäre und bis heute denken wir gerne an diese Woche zurück”, sagt Wolfgang Wendland. Trotzdem erübrigt sich die Partnerschaft, als die DDR am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik beitritt. “Mit der Zeit zeigte sich aber, dass das Treffen nicht ohne Folgen war.” Denn bei späteren Projekten für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) trifft Wolfgang Wendland immer wieder Kollegen aus Chemnitz.

In einem Forschungsschwerpunkt-Programm “Randelementmethoden” der DFG beteiligen sich etliche von ihnen mit Teilprojekten

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Beitragsbild: Kolossos, CC BY-SA 3.0

Zur Person

Wolfgang Wendland ist 1936 in Posen geboren und wuchs später in der DDR auf. Nach dem Abitur flüchtete er und studierte in West-Berlin, wo er 1969 Professor für Mathematik an der TU Berlin wurde. Seit 1986 arbeitet er am Lehrstuhl für Angewandte Mathematik der Universität Stuttgart.