Hunderte Fans von Dynamo Dresden reisen im April 1989 zum VfB Stuttgart. Das Spiel, das der VfB mit 1:0 gewinnt, hat große Folgen: Sieben Fans bleiben in Stuttgart. Einer hatte in einer Kneipe spontan den Entschluss gefasst, durch den Hinterausgang zu flüchten.

Als Dynamo Dresden im Halbfinale des UEFA-Pokals das Los nach Stuttgart erhält, bedeutet das für die Stasi zunächst Arbeit. Die Behörde muss dafür linientreue Fans auswählen, die zum Hinspiel in den Westen fahren dürfen. Falls jemand dort Verwandte hat, sodass eine Flucht zu erwarten ist, bleibt er zu Hause. Wer es nach Stuttgart geschafft hat, kann sich an der Wilhelma über schwarz-gelbe Dynamo-Fahnen zur Begrüßung freuen.

Tagesreise für 165 Ostmark

Am Nachmittag steigen die 600 Auserwählten nach zehn Stunden aus ihren Bussen. Vor dem Spiel steht ein kurzer Abstecher ins Daimler-Benz-Museum an. Einer der Fans mit einer schwarz-gelben Dynamo-Mütze berichtet der Presse, dass ihm das Museum zwar gefällt, doch “das Verkehrsmuseum in Dresden, das ist schon auch Zucker” (Stuttgarter Zeitung vom 6. April 1989). Mit 165 Ostmark ist die Tagesreise für die Fans ein Schnäppchen.

Im Neckarstadion kann der VfB Stuttgart am 5. April 1989 die Gäste aus Dresden mit 1:0 besiegen.

Anschließend geht es ins Neckarstadion, wo die Zuschauer ein packendes Duell mit hohem Tempo erleben. Vor 60.000 Zuschauern kann Karl Allgöwer das entscheidende Tor für die Schwaben erzielen. Alle Kameras richten sich nach dem Spiel trotzdem auf Jürgen Klinsmann: “Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich den VfB Stuttgart am Saisonende verlassen” (Stuttgarter Zeitung vom 6. April 1989), kündigt der Stürmer nämlich an.

Aus der Kneipe geflüchtet

In den Tagen danach berichten Stuttgarter Medien, wie einzelne Dynamo-Fans flüchten konnten: In einer Kneipe beschließt der Landwirt Holger H. nach dem Spiel, dass er bleiben möchte. Als ihn Reisebegleiter der Stasi zum Aufbruch drängen, hilft ihm ein anderer Gast, durch den Hinterausgang zu flüchten. “Hier kann man mit dem Geld, das man verdient, wenigstens etwas anfangen” (Stuttgarter Zeitung vom 7. April), meint der 22-Jährige.

Heute weiß die Behörde des Beauftragen für Stasi-Unterlagen (BStU), dass die Stasi nach dem Spiel Vorwürfe gegen die Landespolizei erhebt: “Im Falle von XY war die Duldung und die aktive Unterstützung einer gezielten Abwerbung durch die Stuttgarter Polizei feststellbar.” Außerdem kritisiert die Stasi, dass die ARD bei der Live-Übertragung Bilder der Dynamo-Fans vermieden hätte. Das sei ein bewusstes “Nichtsehenwollen” der Dresdner.

Im Rückspiel erkämpft sich der VfB mit Jürgen Klinsmann ein Unentschieden. Bild: Bundesarchiv/Klaus Oberst

Damit verlief der Abend für die DDR nicht nur sportlich enttäuschend – trotz des “großen Engagements” der Genossen. Zwei Wochen später zieht der VfB mit einem Unentschieden in Dresden ins Finale des UEFA-Pokals ein. Das ganze Stasi-Dokument findet sich in diesem Heft ab Seite 33:

Zum Weiterlesen: Wie Eberhard Trautner Freunde in der DDR fand

Beitragsbild: Bundesarchiv

Quellen:

Stuttgarter Zeitung vom 5., 6. und 7. April 1989

Behörde des Beauftragten für Stasi-Unterlagen